Auch die glamouröse Eröffnung der Hamburger Elbphilharmonie konnte die tiefe Krise der
klassischen Musik nicht überdecken: Sie ist im Ritual erstarrt das Repertoire bleibt
konventionell und Konzertbesuche dienen oft nur dem elitären Distinktionsbedürfnis.
Unterdessen versuchen die Musikkonzerne mit Entspannungs-CDs für gestresste Manager und der
cleanen Inszenierung geigender Schönheiten gegen sinkende Verkäufe anzukämpfen. Dennoch
schreitet die Entfremdung der Masse der Menschen von der klassischen Musik immer weiter fort.
Angesichts dieses Elends fordert Berthold Seliger einen neuen Klassikkampf um die verdrängten
Potenziale der Musik. Er wirft einen kenntnisreichen Blick hinter die Kulissen des heutigen
Klassikbetriebs und ruft mit Verve in Erinnerung dass die ernste Musik entgegen der
Mutlosigkeit und Verflachung von Mozart über Beethoven bis Eisler und Abbado immer auf die
Revolutionierung der Schönheit und damit auch der realen gesellschaftlichen Verhältnisse
zielte. Seliger verlangt nichts weniger als die Rettung des rebellischen Glutkerns der Klassik
die nur über ihre breite gesellschaftliche Wiederaneignung gelingen kann und die wie Bildung in
der Vergangenheit immer wieder aufs Neue erkämpft werden muss. So ist seine schonungslose
Kritik an der gegenwärtigen Misere am Ende eine flammende Liebeserklärung an die Musik.