Keine Frage - in Kunst und Kultur und der Entwicklung der Menschheit überhaupt hat es immer
Übernahmen und Aneignungen von Techniken Fertigkeiten Motiven usw. gegeben. Man lernt ja
voneinander. Doch darum geht es hier nicht. Kultureller Austausch ist etwas anderes als
kulturelle Aneignung. Lars Distelhorst schreibt aus der selbstreflektierten Perspektive eines
Weißen über einen aktuell so populären wie unzureichend theoretisierten Begriff der ein
bemerkenswertes Affektpotenzial hat: Ob es um Faschingskostüme oder um Dreadlocks geht um
Soulmusik oder Yoga - die Diskussion kocht sehr schnell hoch. Distelhorst veranschaulicht
zunächst anhand der Reaktionen auf die Empfehlung einer Hamburger Kita im Jahr 2019 die Kinder
zum Fasching nicht als »Indianer« zu verkleiden und eines kurzen Abrisses der deutschen
Kolonialgeschichte den Zusammenhang zwischen Mikro- und Makroebene von kultureller Aneignung.
Er setzt sich mit verschiedenen Definitionen des Begriffs auseinander vor allem mit dem oft
unterstellten Zusammenhang mit essenzialistischen Kulturkonzeptionen und analysiert drei
Dimensionen der Aneignung: kolonialen Kulturraub ungefragte Repräsentation anderer Kulturen
und Konsum von Kultur als Ware. Schließlich verknüpft Distelhorst kulturelle Aneignung mit
einer kapitalismus- und rassismuskritischen Perspektive um das Konzept für die Kritik von
Dominanzverhältnissen fruchtbar zu machen und lotet aus was Antirassismus für weiße Menschen
bedeuten kann.