Bis vor kurzem hätte man den Eindruck haben können die uns historisch allzu vertraute
Gotteslästerung sei zu einem Relikt erstarrt. Mittlerweile ist uns Gotteslästerung buchstäblich
auf die Pelle gerückt denn der Bekennerbrief der auf den toten Körper des Theo van Gogh
aufgespießt war ließ keinen Zweifel über das Motiv aufkommen - Rache für gotteslästerliches
Verhalten. Spätestens der berüchtigte Karikaturenstreit hat unmißverständlich deutlich gemacht
daß die ungewollte Rückkehr dieses religiösen Kardinalverbrechens ein globalisierungsfähiges
Phänomen darstellt.Auch wenn das Vergehen der Gotteslästerung und seine theologische und
strafrechtliche Sanktionierung pan-europäische Praxis bis weit in die Neuzeit geblieben ist
lassen sich die Veränderungen nicht übersehen. Zunächst galt die Gotteslästerung dem Fall einer
buchstäblichen Kränkung der Ehre Gottes. Aber seit dem 18. Jahrhundert wurde weniger Gott
selbst als vielmehr die Religion also die Organisation seiner Bekenner und Anhänger als
Adressat lästerlicher Äußerungen betrachtet weshalb ihr - der Religion - nun
Schutzbedürftigkeit attestiert wurde. Später erfolgte eine weitere Transformation: Als
Blasphemie konnten im Lauf des 20. Jahrhunderts auch jene Kränkungen und Beleidigungen
weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen aufgefaßt werden die weder direkt auf Gott
noch auf Religion als seine weltliche Organisationsform bezogen waren. Nun ist es vielmehr eine
kulturell geprägte Subjektkonstruktion die angegriffen wird. Während aber in der westlichen
Moderne die Schwächung der »Kultur der Ehre« zugunsten einer »Moral der Würde« gleichsam als
Nebenprodukt die Empfi ndsamkeit für die Gotteskränkung abnehmen ließ scheint die Rückkehr
ehresensibler Kulturen in die Räume der Moderne auch die Wahrscheinlichkeit gotteslästerlicher
Delikte zunehmen zu lassen. In der Spur dieser Rückkehr zeigen auch die christlichen Kirchen
eine zunehmende Kränkungsbereitschaft.