Auch seine letzte Monographie Moral und Hypermoral sah Gehlen in der direkten Nachfolge seines
anthropologischen Hauptwerkes Der Mensch. Insofern verstand er seinen Entwurf einer
pluralistischen Ethik als Konkretisierung seiner Lehre vom Menschen. In diesem Buch das eine
Genealogie der Moralen entwickeln will stellte sich Gehlen die Aufgabe Anthropologie
Verhaltensforschung und Soziologie so zu verbinden daß vier voneinander nicht ableitbare
Ethosformen empirisch freigelegt werden könnten: von einem aus der Gegenseitigkeit entwickelten
Ethos über Eudaimonismus und Humanitarismus bis hin zu einem Ethos der Institutionen
einschließlich des Staates. Gehlen wollte der abstrakten Ethik der Aufklärung widersprechen
wie sie beispielsweise in Voltaires Diktum zum Ausdruck kam nach welchem es nur eine Moral
gebe so wie es nur eine Geometrie gibt. Systematisch geht es in erster Linie um eine
anthropologische Begründung der Ethik d.h. um eine Mehrheit moralischer Instanzen und
Sozial-Regulationen. Diese werden nicht evolutionär interpretiert d.h. als Fortschritt von der
Nahethik zu einer schließlich weltumspannenden Moralität. Manche Moralen können als instinktnah
angenommen werden andere ergeben sich aus den Notwendigkeiten bestimmter Institutionen. Immer
jedoch sind sie kulturell geformt und zugleich auf unterschiedlichen Ebenen der Abstraktion
angesiedelt. Es bleibt im Zuge einer neuerlichen Rezeption von Moral und Hypermoral die These
zu prüfen ob die Modellvorstellung eines unversöhnlichen Pluralismus moralischer Normen eine
Dimension des Ethischen zum Ausdruck bringt die in den evolutiven Konzepten der ethischen
Anpassung an je höhere gesellschaftliche Synthesen unterschätzt wird. Insofern gehört dieses
Buch in den Zusammenhang einer philosophisch-soziologischen Grundlagenforschung wie sie seit
Max Scheler und Helmuth Plessner als Philosophische Anthropologie durchgeführt wurde und welche
Arnold Gehlen - von den Elementarbeständen der menschlichen Existenz bis zur Analyse der
modernen Malerei - mit so viel Sachhaltigkeit weiterverfolgt hat.Moral and Hypermoral Arnold
Gehlen´s final book-length publication is an elaboration on basic theses which had initially
been brought forward in Gehlen´s anthropological magnum opus Der Mensch. In this respect this
draft of a pluralistic ethics is conceived as an elaboration on as well as a concretion of his
doctrine of man. In this book Gehlen set himself the task of combining anthropology
behavioral science and sociology in a genealogy of morality thus exposing four interdependent
forms of ethics: from an ethos of reciprocity via eudaimonism and humanitarianism to an ethos
of institutions including the state. Gehlen made a decisive stand against the abstract ethics
of the Enlightenment: systematically his book is primarily an anthropological justification of
ethics conceived as a majority of moral authorities and social regulations. These are not
subjected to an evolutionary interpretation that is as progress from an ethics of proximity
to a world-encompassing morality. Moralities whether based on instinct or arising from the
needs of particular institutions are always culturally shaped and set on different levels of
abstraction. With its broad scope the book belongs in the context of basic
philosophical-sociological research known as philosophical anthropology.