Alfred Kerr ist uns in Erinnerung als der einflussreichste Theaterkritiker Deutschlands im 20.
Jahrhundert. Er rühmte Henrik Ibsen als den Ahnherrn der Moderne kämpfte für Gerhart Hauptmann
Arthur Schnitzler Frank Wedekind George Bernard Shaw entdeckte Robert Musil stritt gegen
den Talmiruhm Hermann Sudermanns kämpfte mit Bertolt Brecht verspottete Karl Kraus und setzte
gegen Thomas Manns endlose Sätze seine knappen treffenden die deutsche Sprache präzisierenden
Sentenzen. Er war um 1910 verehrt von den jungen Dichtern kämpfte in der Republik gegen
Rückwärtserei und die Nazis. Goebbels hasste ihn so sehr dass Kerr sich 1933 ins Exil retten
musste. Die Jahre in Paris und London waren ein Sturz in Not und Elend. Deborah Vietor
Engländer erschließt in dieser Biographie zum ersten Mal das ganze zum Teil unbekannte Leben
und Wirken Alfred Kerrs nutzt unbekannte Quellen und rückt uns diesen Streiter der aus
Lessings Geist lebte und mit dem Sprachwitz Heinrich Heines schrieb wieder nah. Sie zeigt
welche Höhe dieser lebensdurstige Mensch erreichte und wie jäh sein Absturz war. Kerrs
Biographie spiegelt exemplarisch das Leben jener jungen jüdischen Generation die um 1880
aufbrach um an der deutschen Kultur endlich teilzunehmen. Alfred Kerr starb 1948 in Hamburg
am Beginn einer Vortragsreise als wollte ihn das Schicksal zurückführen in das Land für
dessen geistige Freiheit er stritt und das er nie vergaß. Seine von Günther Rühle in der
Breslauer Zeitung der Jahrhundertwende entdeckten «Berliner Briefe» («Wo liegt Berlin?»
erschienen 1997) führten zu Alfred Kerrs Neuentdeckung. Im Literarischen Quartett verkündete
Marcel Reich-Ranicki damals: «Die Geschichte des deutschen Feuilletons muss nach diesem Buch
neu geschrieben werden.» Die exemplarische Geschichte eines großen Schriftstellers dessen
glänzende Karriere die Nazis gewaltsam beendeten.