Das menschliche Sehen ist geneigt ungegenständliche Formangebote zur Anschauung von Augen und
Gesicht zu ergänzen. Derartig changierende dynamische Wahrnehmungen in denen der Betrachter
zugleich zum Betrachteten wird sind augenblicklich evident zugleich aber flüchtig und
unverbindlich. Entsprechend schwierig erscheint ihre fotografische Darlegung und argumentative
'Feststellung'.Während der künstlerische Umgang mit Wandelformen zum bekannten Repertoire der
Moderne gehört ist er als Bildstrategie des Mittelalters bisher nicht allgemein beschrieben
worden. Auf Basis ¬einer breiten Auswahl vermeintlich vegetabiler Kapitelle der europäischen
Romanik kann die vorliegende Arbeit zeigen daß der spielerische Übergang vom Ornament zur
Figürlichkeit zu den grundlegenden und weit verbreiteten Gestaltungskonzepten des
Hochmittelalters gehört. Dabei gelingt der Nachweis dass es sich bei den ambivalenten
Wahrnehmungseffekten keineswegs um ¬beliebige ¬Assoziationen heutiger Beobachter sondern um
den so experimentierfreudigen wie planvoll kalkulierten Vorsatz der Bildkünstler selbst
handelt.