Es ist merkwürdig und bezeichnend dass die österreichische Decadence im gleichen Jahre 1874
diese beiden Männer hervorgebracht hat die bestimmt sind in zahllosen Generationen eine
wahrhaft heilsame und für die europäische Kultur entscheidende Unruhe hervorzurufen. (Ernst
Krenek 1934) Anlässlich der 150. Geburtstage von Arnold Schönberg und Karl Kraus wird die
Geistesverwandtschaft zweier maßgeblicher Impulsgeber der Wiener Moderne erstmals in einer
Publikation beleuchtet. Der musikalische Visionär Schönberg und der medienkritische
Schriftsteller Kraus haben sich in eine von künstlerischen gesellschaftlichen und politischen
Explosionen überreiche Epoche eingeschrieben. Als Advokat des Fortschritts in der Musik stand
Schönberg für den Mut zur Abweichung von Konventionen. Die interdisziplinäre Ausrichtung der
Wiener Moderne mitprägend betätigte er sich auch als Schriftsteller und Maler. Als
Sittenrichter der Sprache führte Kraus einen unerbittlichen Kampf gegen die korrumpierende
Zeitungsphrase gegen Doppelmoral und ästhetisches Gleichmaß. Die beiden Jubilare einte ein
unausgesprochenes Verstehen in künstlerischen und gesellschaftlichen Belangen ein gemeinsames
ethisches Programm das auf Wahrheitsanspruch in allen Bereichen der Kunst abzielte. Aus dem
erstmals vollständig wiedergegebenen und kommentierten Briefwechsel Schönberg - Kraus
erschließen sich Parallelen aber auch Diskontinuitäten und Brüche einer über vier Jahrzehnte
währenden Bekanntschaft. Zeitzeugenstimmen aus Architektur Dichtung Malerei und Musik
grundieren ein Metier-übergreifendes Panorama intellektueller und künstlerischer Wegkreuzungen.
Neue Musik in Wien um 1900 wird in der Publikation ebenso thematisiert wie der Einfluss des
Vorlesers Kraus auf Schönbergs Sprechtonästhetik. In Stil und Gedanken erweist sich der
Komponist als produktiver Leser des von Kraus herausgegebenen legendären Periodikums Die
Fackel. Schönberg und Kraus teilen die Erfahrung einer wechselvollen Conditio Judaica im
Schatten des aufsteigenden Nationalsozialismus. Mit der Emigration Schönbergs in die USA im
Herbst 1933 erfährt die Verbindung der beiden Wiener Unruhestifter eine Zäsur. Schönbergs
Exilbibliothek erweist Kraus weiterhin als maßgebende Bezugsgröße.