Die Konstruktion des Lebens liegt im Augenblick weit mehr in der Gewalt von Fakten als von
Überzeugungen. Und zwar von solchen Fakten wie sie zur Grundlage von Überzeugungen fast nie
noch und nirgends geworden sind. Unter diesen Umständen kann wahre literarische Aktivität nicht
beanspruchen in literarischem Rahmen sich abzuspielen - vielmehr ist das der übliche Ausdruck
ihrer Unfruchtbarkeit. Mit diesen programmatischen Worten beginnt die Einbahnstraße eines der
ungewöhnlichsten Bücher Walter Benjamins. 1928 nicht als Buch sondern als Broschüre
veröffentlicht gestaltet in konstruktivistischer Typographie versehen mit dem berühmten
Umschlag von Sasha Stone dazu geschrieben in der prompten Sprache von Flugblättern Annoncen
und Plakaten die allein sich dem Augenblick wirkend gewachsen zeigt nimmt diese Sammlung von
Aphorismen eine auf den ersten Blick singuläre Stellung in Benjamins Werk und der
Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts ein. Die Einbahnstraße war stilbildend und kann als
Vorbild etwa für Blochs Spuren oder Adornos Minima Moralia gesehen werden.Auf den zweiten Blick
und in der Rückschau offenbart sich eine weitere Besonderheit der Einbahnstraße: Sie ist eine
entscheidende Gelenkstelle in Benjamins Gesamtwerk in der Überlegungen des Frühwerks
transformiert werden um sie dann in späteren Arbeiten weiterzuführen. Dies veranschaulicht
insbesondere die 43 Texte umfassende Nachtragsliste zur Einbahnstraße die Benjamin Anfang bis
Mitte der dreißiger Jahre zusammenstellte. Sie wird neben dem Erstdruck und allen
handschriftlichen Vorstufen sowie zeitgenössischen Rezensionen in der neuen Edition erstmals
als Einheit zu lesen sein. Der Kommentar und das Nachwort des Herausgebers machen zudem die
Verbindung der einzelnen Texte mit dem Gesamtwerk Benjamins sichtbar und zeigen inwiefern die
Einbahnstraße die Tradition der europäischen Aphoristik aufgenommen und zugleich erneuert hat.