Mythoskritik und Mythosapotheose stehen in einem Spannungsverhältnis und dieses
Spannungsverhältnis wurde in der Moderne auf die Spitze getrieben. So steht zum Beispiel in der
Avantgarde dem Kult des prärationalen unmittelbaren Erlebens der Form und der sinnlichen
Präsenz der Wirklichkeit eine elaborierte theoretische und damit eben rationale Unterfütterung
eben dieses Erlebens in der Form von Manifesten Programmen philosophischen Erklärungen und
Herleitungen gegenüber. Insgesamt wird der Diskurs über den Mythos in höchst rationaler Weise
geführt. Damit befindet sich Wissenschaft in Bezug auf die mythischen Qualitäten der Moderne in
einer paradoxen Situation. Verliert das Beschreibungsobjekt nicht durch seine Beschreibung
gerade die Qualität die für es konstitutiv ist? Insofern erscheint der von Nietzsche und
Heidegger gewählte Weg den eigenen Diskurs zu poetisieren und damit zu mythologisieren nicht
paradox sondern geradezu unabdingbar - wie sonst sollte begreifbar gemacht werden was sich
per definitionem den rationalen Diskurs entzieht?Die interdisziplinäre wissenschaftliche Tagung
die in Kooperation der Universitäten Wroclaw und Göttingen von 14. bis 15. Mai 2015 an der
Universität Wroclaw stattfand verortete sich genau in diesem Spannungsfeld. Strukturell trafen
sich Mythoskritik Mythosverstehen Kritik der Mythoskritik und Verstehen des Mythosverstehens
thematisch begegneten sich literaturwissenschaftliche historische und philosophische Zugänge.
Dies schuf eine kreative weil hoch reaktive Mischung deren atmosphärische Präsenz - da eben
auch wieder von mythischem Charakter - die schriftliche Präsentation der Beiträge nur
unvollkommen wiederzugeben vermag. Aber vielleicht lässt die serielle Lektüre der natürlich
auch jeder für sich äußerst lesenswerten Beiträge doch eine Ahnung davon entstehen dass hier
ein gegenseitiges Anregungspotential gegeben war ein hoch aufgeladener intellektueller
Plattenkondensator dessen schriftliche Entladung Dr. Grzegorz Kowal und ich im vorliegenden
Sammelband der interessierten Öffentlichkeit vorlegen möchten.Matthias Freise (aus dem Vorwort)