Raimund Wünsche Im ersten der fünf Bücher Mose Genesis genannt wird die Weltentstehung
(Kosmogonie) die Erschaffung des Menschen sein Sündenfall die Sintflut die Erwählung
Abrahams und seiner Nachkommen geschildert. Es sind biblische Mythen in denen ältere
Überlieferungen Israels und wohl auch mythische Erzählungen anderer früherer Kulturen
verarbeitet sind. So findet sich die Geschichte von der Sintflut in dem um 1800 v.Chr. im
Zweistromland (heute Irak) entstandenen Atrachasis-Epos das auf viel ältere Quellen
zurückgreift in dem um 1200 v.Chr. in Babylon geschriebenen Gilgamesch-Epos und mit fast
gleichem Inhalt aber mit anderen Namen auch in der Genesis wieder. Dies wird hier nur erwähnt
da Markus Lüpertz diese und andere Weltschöpfungsmythen wie z.B. das um 1100 v.Chr.
entstandene babylonische Enuma Elisch kennt und studiert da sich in diesen Mythen das Denken
die Ängste und Hoffnungen des Menschen vergangener Zeiten in poetischer Form kristallisieren
und ihm wie ich glaube als anschauliche und fantasieanregende Bilder' dienen. Die berühmten
griechischen Naturphilosophen des 6. Jahrhunderts v.Chr. haben der Macht des Mythos die
Vernunft (Logos) entgegengesetzt. Bei der Frage aus welchem Urstoff die Welt entstanden sei
war man sich nicht einig: Thales dachte an Wasser Anaximenes an Luft Heraklit an Feuer. Auf
sie aufbauend entwickelte Empedokles aus Akragas (um 495-435 v.Chr.) dem heutigen Agrigent in
Sizilien die Lehre von den vier Urstoffen: Feuer Wasser Luft und Erde. In dem sich diese
Elemente mischen entstehen neue Formen die se mischen sich wieder bzw. trennen sich wieder
und mischen sich mit anderen Mischformen usf. Empedokles stellte sich das Weltganze als Kugel
vor durchdrungen von diesen vier antithetischen Elementen. Er lehnte es ab wie auch andere
Naturphilosophen sich die Götter menschenähnlich vorzustellen dennoch wies er die vier
Elemente einzelnen Göttern zu. Bis heute sind Darstellungen der vier Elemente als symbolhafte
Zeichen oder gemeinsam mit Personifikationen ein beliebtes Thema in der abendländischen Kunst.
In den Vier-Elemente-Bildern von Lüpertz flossen neben der antiken Tradition auch
naturwissenschaftliche und historische Kenntnisse unserer Zeit ein was dem Betrachter einen
weiten Spielraum für verschiedene Interpretationen eröffnet. Die Bilder werden hier - anders
als bei Empedokles - in der Abfolge Erde-Wasser und Luft-Feuer behandelt was der Aufstellung
in der U-Bahn folgt. Die weiteren Bilder sind hier zur leichteren Verständlichkeit nicht
entsprechend der Aufstellung in der U-Bahn sondern thematisch geordnet nach: griechische
Mythen und Sagen biblische Überlieferungen sowie Erzählungen aus Dantes Göttlicher Komödie.
Heute fällt es vielen schwer griechische Sagenbilder zu entschlüsseln da die dargestellten
Themen nur noch wenig bekannt sind. Und selbst wer sie kennt findet manche Darstellungen
rätselhaft was sich leicht erklären lässt: Lange Zeit wurden in der Antike die Sagen mündlich
tradiert. Dadurch unterlagen sie leichten Veränderungen neue Versionen entstanden. Es gibt
viele antike griechische Vasenbilder die Sagenvarianten darstellen die uns in keiner
schriftlichen Überlieferung erhalten sind. Viel entscheidender ist jedoch was uns heute fremd
erscheint: Die antiken Dichter und Dramatiker scheuten sich nicht ihre Göttermythen und
Heldensagen auch in der inhaltlichen Aussage radikal umzugestalten die Handlung an neue Orte
zu versetzen mit neuen Figuren zu bereichern ... Genau das macht auch Lüpertz - so wie einst
die antiken Schriftsteller und Dramatiker. Er verändert unbekümmert die Erzählung spinnt sie
weiter und bindet sogar Szenen und Gestalten aus unterschiedlichen Sagen zusammen. Dadurch
entstehen Darstellungen die oft vieldeutig sind. Damit steht er nicht allein. Das gilt auch
für Bilder anderer Künstler. Mir scheint als habe manch abendländischer Künstler ganz bewusst
seine Malerei verrätselt. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die Tempesta (Das Gewitter) ein
berühmtes Bild von Giorgione entstanden 1508. Offensichtlich war es bestimmt für einen Kreis
von Kunstliebhabern Sammlern und Kennern die sich erfreuten an einer Darstellung die nicht
jedermann sofort zugänglich war sondern Fantasie und Gelehrsamkeit erforderte. Bei Giorgiones
Gewitter ist die Darstellung so geheimnisvoll dass sie bis heute nicht eindeutig geklärt
werden konnte. Das Bild wurde schon als biblische Szene wie Auffindung des Moses oder Ruhe auf
der Flucht als antiker Mythos Geburt des Bacchus Abschied des Paris oder als Szene aus Ovid
Boccaccio Petrarca oder als Die vier Elemente gedeutet. Das Rätselhafte ist wie man an diesem
Beispiel gut sehen kann kein Manko sondern gibt dem Werk eine besondere Faszination.
Rätselhaft ist auch Lüpertz' Darstellung von Orpheus und Eurydike. Die Geschichte des Sängers
Orpheus wurde schon in der Antike zum Mythos der zwar in verschiedenen Varianten erzählt wird
aber eine eindeutige Aussag