Die große Inflation die vor 100 Jahren in Deutschland ihren Höhepunkt hatte führte aus
heutiger Sicht zu chaotischen Zuständen. Ein Ei kostete im damaligen M. Gladbach Ende November
1923 sage und schreibe 500 Milliarden Mark und ein Liter Milch 440 Milliarden Mark. Das völlig
entwertete Geld hatte seine Funktion als Wertspeicher und Wertmaßstab komplett eingebüßt die
Menschen mussten es heute ausgeben morgen war es viel weniger wert. Sparen war zu einer
Verrücktheit geworden Kredite aufnehmen und mit dem Geld an der Börse spekulieren hatte sich
zu einem Volkssport entwickelt. Die regelmäßigen und oftmals sprunghaften Teuerungen in den
Geschäften wurden von den Verbraucher*innen dem Handel als Wucher angelastet.
Marktbesucher*innen nahmen den Gemüsehändler* innen im Wege der Selbsthilfe die Ware einfach
weg oder zahlten das was sie für angemessen hielten. Das Rheinland litt zu dieser Zeit unter
einer Militärbesatzung der Siegermächte des Ersten Weltkriegs und Separatistengruppen stürmten
unter dem Wohlwollen der belgischen Besatzung reihenweise die rheinischen Rathäuser auch in M.
Gladbach. In Rheydt kam es nur zu Vorbereitungen dazu. In beiden Städten lebten zu dieser Zeit
aufgrund der Arbeitslosigkeit mehr als 80 Prozent der Bevölkerung von Leistungen der
öffentlichen Fürsorge. Hinzu kamen die praktischen und ideologischen Folgen des Versailler
Friedensvertrages bis hin zum Ruhrkampf' im Jahr 1923. Selbst die Weimarer Republik mit ihren
ungewohnt neuen demokratischen Strukturen bedurfte der Aneignung durch die Bürger*innen was
sich mehr als schwierig gestaltete. Parallel zu diesem Szenario des gesellschaftlichen
Wild-West-Zustandes' blühte vor 100 Jahren in Mönchengladbach ein neues Kulturleben auf. Neue
Wege wurden in der Architektur in der Literatur und der Malerei beschritten und der
Öffentlichkeit vorgestellt. Nicht immer zu deren Freude. Ein bekanntes Beispiel ist dafür die
Stiftung der Sammlung expressionistischer Bilder im Jahr 1922 durch Dr. Walter Kaesbach. © Karl
Boland Hans Schürings (Hrsg.)