Die Auseinandersetzung mit dem Holocaust in Polen hat in den vergangenen Jahren eine neue
Dynamik aber auch eine neue künstlerisch-literarische Dimension erreicht. Stellten vor allem
in den 1990er Jahren späte literarische Zeugnisse von Holocaustüberlebenden einen Großteil der
Veröffentlichungen dar so werden diese Erlebnisse nun von der zweiten bzw. dritten Generation
portraitiert welche in stärkerem Maße abstrahiert und die Aufarbeitung kritisch hinterfragt.
Die Auswirkungen der zeitlichen und emotionalen Distanz zu dem Thema schaffen neue
Erzählstrategien und mitunter provokante Darstellungsformen. Die Studie zeigt an zwei
Beispielen auf wie in der polnischen Literatur des 21. Jahrhunderts das Thema Holocaust und
der generationenspezifische Umgang damit realisiert werden. Ausgehend von der Textanalyse
werden die Werke von Piotr Pazinski (Pensjonat 2010) und Zyta Rudzka (Slicznotka doktora
Josefa 2006) auch im Kontext des gesellschaftlichen Diskurses um das polnisch-jüdische
Verhältnis betrachtet da beide Werke gleichermaßen einen gegenwärtigen subtilen Antisemitismus
ansprechen. Neben der Überwindung gängiger Narrationsmuster wird ein klarer
Generationenkonflikt deutlich: Die Ohnmacht der Erlebnisgeneration die es nicht vermag ihr
Schicksal mitzuteilen steht einer jungen Generation gegenüber die versucht der Vergangenheit
in ihrem Leben einen Raum zu geben. Somit werden die Bedingungen des eigenen Platzes in der
Gesellschaft vor dem Hintergrund der Geschichte reflektiert. Hiemers Buch ist die erste
umfangreiche Abhandlung über die polnische Holocaustliteratur des 21. Jahrhunderts im deutschen
Sprachraum. Sie wendet sich an Literaturwissenschaftler die sich mit der jüngsten polnischen
Literatur auseinandersetzen und sich insbesondere für die literarische Aufarbeitung des
Holocaust unter textimmanenten Gesichtspunkten interessieren ohne dabei die Texte losgelöst
von ihrem jeweiligen Entstehungskontext betrachten zu müssen.