Zur Begründung der These von der Konstruktion aller Kognition bedienen sich die
Konstruktivisten eines Experimentes welches dem Nachweis des blinden Fleckes auf der Retina
dient. Die Tatsache dass das Sichtfeld trotz nachweisbarer Unterbrechung zusammenhängend
wahrgenommen wird gilt ihnen als Beweis für den selbstreferentiellen Aufbau kognitiver
Strukturen. Bereits auf der Ebene der empirischen Bezugswissenschaften schleicht sich jedoch
eine Unschärfe in das konstruktivistische Denken ein die den Grundstein für die sich
anschließenden Erklärungsnotstände der Erkenntnistheorie und ihrer pädagogischen Indienstnahme
legt. Die Unmöglichkeit die gehirninterne Hervorbringung individueller Wahrnehmungsresultate
durch die Verknüpfung gegenwärtig erlebter und in der Vergangenheit bereits verarbeiteter
Sinneseindrücke nachzuzeichnen beschreibt ein Nichtsehen das dem blinden Fleck insofern
ähnelt als sich auch diesem nur durch die entkräftende Überlagerung mit dem Sichtbaren
begegnen lässt. Die Verabsolutierung der These der strukturdeterminierten Kognition wird so zur
zwingenden Notwendigkeit einer Neurophysiologie die ihr Sehen der Sichtbarkeit materieller
Spezifik verdankt. Im ersten Teil dieses Textes werden sowohl die neurobiologischen Grundlagen
als auch die sich aus ihnen ableitenden konstruktivistischen Thesen dargestellt. Das
Kompensationsverhalten setzt sich auf der Ebene des Pädagogischen in einem zugespitzten Modus
fort. Um pädagogische Handlungsfelder in die konstruktivistische Theorie aufnehmen zu können
müssen inhärente Setzungen durch inkonsistente Zugriffe umgedeutet werden. Die terminologisch
erneuerte Verabsolutierung eines selbstgesteuerten Lernprozesses führt die konstruktivistische
Pädagogik jedoch in die Affirmation der Zugriffsstrukturen einer ökonomisierten Gesellschaft.
Welche Gestalt die konstruktivistische Pädagogik unter diesen Bedingungen annimmt und welche
pädagogische Relevanz dem konstruktivistischen Denken zukommt wird im zweiten Teil dieses
Textes analytisch- kritisch beurteilt.